Wo hohe Türme sind by Danella Utta

Wo hohe Türme sind by Danella Utta

Autor:Danella, Utta [Danella, Utta]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne
veröffentlicht: 2015-08-12T16:00:00+00:00


IL CASTELLO

Berlin 1961

Am Wittenbergplatz war Blanca ausgestiegen, schleppte die ausgebeulte Reisetasche und die zwei schweren Tüten noch bis in die Passauer Straße, dann ließ sie alles aufs Pflaster plumpsen. Sie hatte Kreuzschmerzen, der Leib tat ihr weh, der Kopf sowieso. Sie konnte keinen Schritt mehr weitergehen, und den ganzen Kram ließ sie einfach hier liegen.

»Verehrtes Fräulein, dürft’ ich’s wagen, euch meine Hilfe anzutragen?«

Vor ihr stand der junge Mann, der sie schon in der U-Bahn angelächelt hatte.

Sie hatte es übersehen.

»Na, das hinkt ja ziemlich«, sagte sie mürrisch. »Und besonders galant sind Sie auch nicht.«

Er kapierte sofort. Zählte an den Fingern den Reim ab. »Vielleicht ein bisschen. Und bin ich ungalant, wenn ich Sie verehre? Was haben Sie denn da drin?«

»Das geht Sie gar nichts an.«

»Richtig. Ich dachte nur, wenn ich Ihnen tragen helfe, kann ich auch mal ’ne dusslige Frage stellen. Helf ich Gretchen tragen, stell’ ick ihr ooch Fragen. Na, wie ist das? Besser?«

Blanca blickte himmelwärts. »Zugegeben, es ist ziemlich warm. Aber so warm auch nicht, dass es für einen Sonnenstich reicht.«

»Ich wusste, dass wir uns verstehen würden.« Er griff nach der Tasche und nach einer Tüte. »Beim Zeus, das ist ja wirklich schwer. Frag ich noch mal, was Sie denn da rumschleppen. Ihre Wohnungseinrichtung?«

»Ich hab’ keine Wohnung und keine Einrichtung. Da ist nur was zu essen drin.«

»Zu essen? Sie müssen einen guten Appetit haben.«

»Ich führe meinem Bruder den Haushalt. Und das muss für einige Zeit reichen.«

»Aha. Ein Bruder, so, so. Na, ich lieg’ doch wieder goldrichtig. Heißt er zufällig Valentin?«

»Heißt er nicht, und hören Sie auf, mir Goethe vorzuquatschen. Wenn Sie mir wirklich helfen wollen, dann schieben wir los.« Sie hievte die andere schwere Tüte hoch, trug sie jetzt mit beiden Armen an den Leib gepresst. Die Schmerzen waren kaum mehr auszuhalten.

»Bin schon unterwegs. Sagen Sie mir bloß, wohin. Wird es eine längere Tour?«

»Nein, gleich um die Ecke, in die Augsburger Straße.«

Sie gingen langsam nebeneinander her die Straße entlang.

»Nur bloß noch mal so ’ne dusslige Frage. Die letzte, ich schwöre es. Woher bringen Sie denn das Happenpappen für das Brüderlein? Sie haben doch das KaDeWe hier vor der Tür und jede Menge Läden dazu.«

»Ich hole es im Osten. Da kann ich billiger einkaufen.«

»Eine sparsame Hausfrau. Wacker, wacker.«

»Wir sind arme Leute.«

»Armut schändet nicht. Mir geht’s auch ziemlich mager.«

»Ist nicht direkt ein Trost für mich.«

Das Haus war ein alter vierstöckiger Bau, es sah grau und verwahrlost aus, doch es hatte den Bomben getrotzt. Rechts war eine Baulücke, keine Trümmer mehr, und links hatte man auf dem stehen gebliebenen Erdgeschoss zwei glatte, schmucklose Stockwerke draufgesetzt.

Blanca lehnte sich einen Moment an die Hauswand.

»Es ist im dritten Stock. Und der Fahrstuhl ist kaputt.«

»Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern. Los, beginnen wir den Aufstieg.«

Sie stieß die Tür auf, er sah in ihr blasses Gesicht, sah die Ringe unter ihren Augen.

»Wissen Sie was, Gretchen? Sie lassen Ihre Tüte hier unten stehen, und ich hol’ sie dann nachher, wenn ich wieder Luft bekomme.«

»Damit sie einer klaut, was? Nee, ich kann schon.«

»Ist das Brüderlein noch klein?«, fragte er beim Treppensteigen.



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